Komfortwohnanlage in Passivhausqualität St. Gallenkirch
2012 - 2016
Wohnbau
6791 St. Gallenkirch, AT
1. Preis geladener Wettbewerb
Alpenländische Gemeinnützige WohnbauGmbH
Fotocredits: Bruno Klomfar, Büro D\M
- Nominierung Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2017
- Iconic Design Award 17
- Nominierung Mies van der Rohe Preis 2016
- shortlisted BHP’16
- best architects 17
- Schaufenster Vorarlberg 27 Vitrinen – 27 Bauten
- Austria Kultur International Jahrbuch 2018
- best architects 17 award Publikation
- Best of Austria 2016_17
- architktur.aktuell 2016
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Die Architekten
Varianz an Stelle von Addition
Zur Lage und den Resourcen
Das Land Vorarlberg bekennt sich über die Wohnbauförderung seit 2005 zu einer energieeffizienten Baukultur, besonders im integrativen Wohnbau. Dies beinhaltet auch ein qualitätsvolles und ressourcenschonendes Bauen, bei dem Ökonomie und Ökologie, Soziales und Kultur im Einklang stehen. Für die neue Wohnanlage im Zentrum von St.Gallenkirch werden diese Gedanken aus der ortsüblichen Volumetrie der Solitäre am Hang abgeleitet und auf das neue Gebäude angewendet. Ein klarer Baukörper wird bewusst an die Widmungsgrenze gesetzt und zur vorgefundenen Hangkante gedreht. Dadurch entstehen mit den umgebenden Gebäuden und Geländekanten naturnahe, gefasste Außenräume mit starken orträumlichen Bezügen wie zur Kirche als auch zur fernen Silvretta oder der Gweilgruppe.
Zur Sache und zum Licht
Im Montafon wurden die Siedlungen oft in der Nähe der Talsohle zugunsten der höher gelegenen und besser besonnten Böden am Berg gebaut. Dieser bäuerlichen Wertschöpfung steht die Minderung von Tageslicht der Senke gegenüber. Das neue Wohngebäude steht an der talseitig tiefsten Siedlungsgrenze. Eine ressourcenschonende Strategie und Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit erlauben hier neue Wege um das verloren gegangene Licht wieder einzufangen. So verfügt beinahe jede Wohnung - außer den Geschoßobersten - über einen zirka acht Quadratmeter großen Luftraum über zwei Geschosse. Natur und Licht dringen über diese Öffnungen tief ins Innere und sie lassen die Blicke nach Draußen in der Ferne verweilen.
Zum Wohnen und zum Spiel mit dem Rubik Würfel
”Wohnen bedeutet einen Zustand geschützter Schwäche zu erfahren” - meint Peter Sloterdijk - und weiter: ”In diesem Sinn bedeutet eine gute Wohnung das architektonische Pendant von Liebe – sie erlaubt dir in ihr schwach zu sein, ohne dass sie deswegen in eine starke Pose verfiele”. Sich dieser Schwäche hingebungsvoll zu nähern erfordert Vertrautheit ebenso wie Empathie und Großzügigkeit. Austerität oder gar Lustverzicht hat hier nichts zu suchen.Die Räume der Wohnungen im ”Zauberwürfel” überlagern und schichten sich über die Geschosse ineinander um einen zentralen ”Versorgungskern”. Diese hohe Flexibilität der Grundrisse ergibt sich aus dem modularen Entwicklungskonzept. Keine Wohnung gleicht der anderen und bei Bedarf kann die eine der anderen ein Zimmer ”leihen”. Es gleicht dem Spiel mit dem Rubik Würfel – nur eben in die gegensätzliche Richtung gespielt. Es wird hier nicht räumliche Reinheit gesucht – es wird die größte Vielfalt generiert. Die konzeptionelle Einfachheit stülpt sich gleichsam von innen nach außen. Um die zentrale Erschließungszone aus Stahlbeton liegen die energetischen Versorgungsstränge sowie die Nassräume. Zwischen dieser Zone und der Außenhaut in einer Leichtbauholzkonstruktion liegt jener anpassungsfähige Bereich der Varianz an Stelle von Addition zulässt – sogar in der dritten Dimension. Die Überlegungen zum Inneren sind auch in der Fassade lesbar. Die raumhohen, vorgefertigten Riftbrettelemente bilden den Rahmen für die tiefer liegenden gedämmten Holzboxen und geben dem Gebäude eine angenehme Tektonik. Ein einziger Fenstertyp wird entsprechend dem inneren Gefüge jeweils hinzugefügt. Durch die Konzentration der Pkw Stellplätze und der Tiefgarageneinfahrt im Norden des Grundstücks steht das neue Gebäude im Süden völlig frei am Wiesengrund, am Übergang zu den Tallandschaften der Ill. Diese Situation sowie die hohe Privatheit und Individualität der Grundrisse umschreiben das Wohnen in einem ”gestapelten” Reihenhaus.
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Der Bauherr
Eine lange spannende Geschichte
Stadt und Land gleichen sich in Vorarlberg immer mehr an. Dadurch steigt auch im Dorf der Bedarf an sozialen Wohnbauten. Das Grundstück in St. Gallenkirch liegt sehr prominent, etwas unterhalb der Hauptstrasse in zweiter Reihe schräg hinter der gotischen Pfarrkirche Hl. Gallus. Der kleine Ort im Montafon ist umgeben von steilen Bergen und als Schigebiet sehr beliebt. Wir, die Gemeinnützige Wohngemeinschaft Alpenländische Heimstätte hatte den Baugrund bereits 1995 erworben und auch eine Planung für das Grundstück war schon durchgeführt worden. Ausreichend Wohnbedarf aber meldete die Gemeinde erst 2014 an und weil die Lage so prominent war und man das beste Resultat erzielen wollte, lobtn wir unter einer Handvoll Architekten einen Wettbewerb mit einem ambitionierten Ziel aus: Der neue soziale Wohnbau hatte Passivstandard zu erreichen, sollte barrierefrei sein und letztlich eine besondere Antwort auf ein komplexes Grundstück geben. Insgesamt waren darin zwanzig Wohnungen – zehn mit zwei Zimmern, sieben mit drei Zimmern und drei mit vier Zimmern - unter zu bringen. Doch das Grundstück hatte einen Haken: Es fällt vom Norden – hinter der Hauptstraße, der Kirche und dem Friedhof nach Süden etwas ab und ausgerechnet dort, wo normalerweise die lichte, warme Sonnenseite ist, wird es vom gegenüberliegenden steilen Wald Hang stark beschattet.
Das Architekturbüro Dorner\Matt siegte eindeutig. Ihr Projekt war einfach das beste. Dorner\Matt haben erkannt, dass die Südseite dort die schlechteste ist und die schönste Ausrichtung im Osten und Westen liegt. Sie haben ein kompaktes Volumen entwickelt, die Balkone nach innen gelegt und die 20 Wohnungen über ein zentrales Stiegenhaus erschlossen, das sehr wirtschaftlich ist. Dadurch konnten sie sich etwas leisten, das man in puncto Raumerlebnis als absoluten Luxus bezeichnen kann: vierzehn von zwanzig Wohnungen haben hier einen zweigeschossigen Luftraum, der auf einmal Luft, Licht und Weite in das Innere holt. Diese Lufträume liegen in jeder Einheit woanders: einmal schließen sie am Eck an die gedeckte, zweiseitig verglaste Loggia an und reißen dort gleichermaßen ein hohes Loch in die Wohnung, durch das auf einmal die Sonne hereinflutet und man die Gipfel der Berge noch erspäht. Dann wieder liegen sie mitten in der Wohnküche und definieren so die Beziehung zwischen den angrenzenden Raumhälften ganz neu. In jedem Fall aber sind sie ein Erlebnis, das die Wohnqualität immens erhöht. Sie wollten aus dem Raum heraus Ausblick und Licht einfangen, unabhängig von der Seite beschrieben sie ihre Absicht. In der Umsetzung freilich war das extrem anspruchsvoll. Uns erinnerte es an ein dreidimensionales Tetris, nur komplexer. Denn jeder Luftraum schneidet in die darüberliegende Wohnung ein, alle müssen gegeneinander versetzt sein. Die Detailarbeit war sehr intensiv, aber nur so konnte hier ein bisschen eine Perle des sozialen Wohnbaus entstehen.
Dorner\Matt hatten die städtebauliche Situation genau analysiert und als Referenz an die historisch bedeutsamen, öffentlichen Bauten wie die gemauerte Kirche oder das Pfarrhaus das Raumprogramm zum kompakten Punkthaus gebündelt. Ein Würfel von etwa 25 mal 25 mal 25 Meter ist geradezu passivhaustechnisch. Diesen Wohnwürfel rückten sie so weit wie möglich hangabwärts an die Talsohle. Dadurch erscheint das fünfgeschossige Haus, das souverän auf einem massiven Sockel mit Nebenräumen im abfallenden Gelände ruht, weniger hoch, als es tatsächlich ist.
Es war dies nicht unsere erste Erfahrung mit dem Architekturbüro Dorner\Matt, doch diesmal zeigte sich unsere Zusammenarbeit reibungslos auf höchsten Niveau. Der innovative und stetige Ansporn durch die Architekten und der bedachtsame Umgang mit den ökologischen und wirtschaftlichen Ressourcen übertrug sich auf das gesamte Ausführungsteam. Nur so konnte im sozialen - heute integrativen – Wohnbau ein erheblicher räumlicher Mehrwert für die Bewohner trotz der Deckelung der Wohnbaufördermittel erreicht werden.